MOTORPSYCHO                        30.10.17 Frankfurt, Zoom

 

Unwillkürliche Bilder im Kopf oder ungebetene Melodien im Ohr können mitunter recht unangenehm sein. Aber auch sehr entzückend. Im Zug nach Freiburg, durchs Fenster den sonnenbeleuchteten Kaiserstuhl im Blick, hatte ich solch Erscheinung bevorzugter Art: Eine melancholische, leicht komprimiert klingende Stimme erzählt von '... how can a man be a man when he can't what he can? Wheel of life, rock of Sisaphis ...'; dazu ertönen sanft rhythmische Klänge einer E-Gitarre, eine halb-akustische rote, die ich mit ihrem Spieler verschmolzen vorm inneren Auge im Halbdunkel über grade mal zwei oder drei Schultern hinweg vor mir sehe. Ja, ich liebe es, wenn ich an Tagen nach Konzertbesuchen gedanklich dorthin zurückgeworfen werde. Besonders dann, wenn es sich um solch großartige Auftritte handelt, wie im beinahe schon winzigen, restlos ausverkauften Zoom in Frankfurt...


Mit "August" begann pünktlich das Set, dem für mich zwar schwächsten Song des Abends, jedoch perfekt geeignet, um den Mischer die günstigsten Einstellungen finden zu lassen. Die fand er auch bald; und dabei kann ich auch schon mal vorweg nehmen, dass dies sicherlich eines der lautesten und rockigsten der von mir bislang erlebten Konzerte von Motorpsycho gewesen sein dürfte. Was nach dem Opener kam, war nicht weniger als der Ritt auf einem Feuerwerk, der praktisch ohne Pause auskam und fast ohne Ansagen. Teilweise ließ die während dieser Tour vierköpfige Bänd nicht mal nach einem Song Raum für Applaus. So schloss sich sogleich ein Stück an, dessen Riff sich seit Wochen am häufigsten durch mein Ohr fräst: "In Every Dream Home" vom aktuellen Album 'The Tower'. Hiernach gabs eine wunderbare Version von "Intrepid Explorer", dann "Cornucopia" (auf der Setliste als "Satan" geführt) vom '09er 'Child of the Future' - mit hübsch in der Mitte eingeflochtenem Ausflug zu "Go to California" aus der poppigen 'Phanerothyme'. Mit dem folgenden Mittneunziger-Vinyl-only-Song "Mountain" - mit übrigens sehr geilem, knallhartem Schlussteil -, wurde es erstmal ne zeitlang richtig böse, ehe mit "A Pacific Sonata" wieder versöhnlich ins Jetzt geschwenkt wurde.


Tja, was soll ich sagen? Es war wieder mal ein grenzenloser Spaß, diese Über-Bänd live zu erleben, sich im Sound des akustischen Spektakels treiben zu lassen, die Musiker zu beobachten. Sei es der in sein Spiel stets völlig versunkene Hans Magnus 'Snah' Ryan, der recht straight spielende neue Mann am Schlagzeug, Tomas Järmyr oder der als Gast auf Tour mitgekommene Kristoffer Lo, angekündigt als Mystery Member, welcher Gitarre, Keyboard bzw. Mellotron spielte und sich um diverse Soundeinsprengsel kümmern durfte - der junge Mann ist offenbar ein quasi Kollege aus anderen Bänds und Projekten des Drummers. Besonderes Augenmerk beim Beobachten der Interaktionen gilt natürlich nicht zuletzt dem Kommandanten der Norsemen, Bent Sæther, der seine Mitstreiter oft einfach nur mit Blicken zu dirigieren pflegt.
Nach meinem Eindruck waren die vier, mittlerweile ziemlich genau in der zeitlichen Mitte ihrer Tour angekommen, schnell warm- und hervorragend eingespielt und mit hör-, sicht- wie spürbar immenser Freude am Werken. Die ganz großen Ausuferungen Marke A K 9 Suite / Un chien d'espace gab es nicht, aber ganz ohne Jäm-Anteile gehts natürlich sowieso nicht. So entsprechen die Highlights des Abends in etwa der Anzahl der Blitze bei minutenlangem Bemühen eines Stroboskops!! Sehr, sehr geil*!!


Sagenhafte zwei-ein-viertel Stunden währte das reguläre Set, dem sich mit dem Titelsong des aktuellen Albums die beiden Zugaben anschlossen und ich mich ganz besonders über das finale "Feel" freute, bei welchem Tomas und Kristoffer unter anweisenden Blicken des singenden Bassisten vierhändig die Tasten bedienten, ehe das Konzert Punkt elf beendet werden musste. Beim Verabschieden wies Bent, nach herzlichem Dank ans Publikum und Vorstellung der Mitspieler (mit Raum für persönlichen Applaus zugunsten von Järmyr und Lo sowie einem beiläufig abwinkenden 'Snah and me you know...'), noch darauf hin, dass sie nicht länger spielen dürfen. Das Konzert war exakt nach zweieinhalb Stunden beendet.

Glücklich und höchst zufrieden, mit ordentlich durchgepustetem Hirn wie Gehör, gabs am Merch zur weiteren großen Freude unter anderem noch eine Tour-EP in Form einer gelben Doppel-7" mit vier weiteren neuen Songs, ehe wir uns draußen schleunigst an den wartenden Halloween-Party-People vorbei drückten...


Die Abschrift der fotografierten Original-Setliste des Abends lautet wie folgt:
August / Dream home / Intrepid Explorer / Satan / Mountain-Ny! / Pacific Sonata / Cockoo / A.S.F.E. / I.M.S. / Ship of Fools / In our tree / You Lied / Spin spin spin / Bartok / Plan #1 // xtra: the Tower / Feel


*An dieser Stelle möchte ich anstatt verzweifelter Suche nach Superlativen an einen Ausspruch aus Trainspotting erinnern, als das Gefühl beim Heroinkonsum von einem der Protagonisten beschrieben wird: 'Nimm den besten Orgasmus, den du je hattest, multipliziere ihn mit Tausend - und du bist noch nicht mal nah dran'. Dies würde ich hiermit gerne als Versuch einer Beschreibung für diese musikalisch-motorpsychedelische Droge im positivsten Sinne anwenden...

P.S.: Von meiner Seite bleibt hier nur noch, aus vollen Händen temporäre Schande über die spaßbremsenden Betreiberhäupter des ansonsten recht hübschen, etwa drei- bis vierhundert Leute fassenden Ladens zu verschütten: Die sich anschließende Disko hätte sicherlich noch ein wenig nach hinten verschoben sein können, nachdem der Beginn bereits eine halbe Stunde vorverlegt worden war. Grade eben dann, wenn eine Bänd gebucht wurde, von der nunmal bekannt ist, dass sie gerne lange spielt!!

1.11.17

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