Sigur Rós 4.04.17 Mexiko City, Auditorio Nacional
Ob ein Aufenthalt in Mexiko City als Erholungsurlaub oder anstrengende Städtereise zu bezeichnen ist, kann durchaus unterschiedlich gesehen werden. Im Fall meiner da hin vorgenommenen Reise war es neben manchmal anstrengend tatsächlich auch erholsam, nicht zuletzt daher, weil mich keine ganz von mir allein ausgehende Entscheidung in diese Riesenmetropole geführt hat, sondern hoch angenehme andere Gründe. Und nebst großartigem Sightseeing unter ausgezeichnet sachkundiger Führung war zudem bereits im Vorfeld ein Besuch in Mexikos größter Konzertlokalität gebucht worden. Dort, im Auditorio Nacional, welches sich am Rande des größten innerstädtischen Parks dieser aus vielen Stadtteilen ebenso vielfältiger Charaktere bestehenden Stadt befindet, spielten Sigur Rós an zwei aufeinanderfolgenden Abenden zum Auftakt ihrer Nordamerika-Tour. Wir kamen in den Genuss des zweiten, im Gegensatz zum ersten zwar nicht ausverkauften, doch immer noch sehr gut besuchten Abends im zehntausend Menschen Sitzplätze bietenden Auditorium, nahmen alsbald Platz und harrten der Dinge, die da kommen sollten.
Um kurz vor neun gingen die Lichter aus, gediegene atmosphärische Klänge, offenbar vom Band, bildeten das Intro zum Konzert, während sich das Trio auf der Bühne formierte. Schlagzeuger Dýrason, der auch Keyboards in seiner Verantwortung hatte, nahm den vom Publikum aus gesehen rechten Bühnenrand in Anspruch. Selbstverständlich mittig stand der fast ausschließlich mit Geigenbogen streichende Gitarrist und Sänger Jón „Jónsi“ Birgisson, zu dessen Rechten wiederum war Basser Georg „Goggi“ Hólm positioniert. Umgeben von diversen Beleuchtungsutensilien, hinter sich die Leinwand für visuelle Projektionen, begannen die Isländer ihren in zwei Sets geteilten Auftritt mit etwa fünfzehnminütiger Pause dazwischen recht ruhig und verhalten. Das sollte im fünfunfünfzig Minuten andauernden ersten Set weit überwiegend auch so bleiben, nur sehr vereinzelte lautere Ausbrüche gab es hier zu hören, dafür waren wiederum viele Gänsehautmomente dabei. Etwas störend fand ich allerdings die nach der knappen Stunde Spielzeit überraschende Pause, die nach meinem Empfinden ein wenig den Fluss unterbrach.
Doch war diese Pause augenscheinlich Teil der Inszenierung, denn danach stand die Bänd am hinteren Bühnenrand und schien ganz in die Projektionen und Lichterspiele integriert, teilweise wie hinter einem wie ein von Lichterstäben geflochtenen Zaungitter anmutend. Hierbei ziemlich herausstechend war für mich "Starálfur", vom 2000 ersten international veröffentlichten Album 'Ágætis byrjun', mit dem einzigen Einsatz einer akustischen Gitarre. Beim darauf folgenden "Sæglópur" von 'Takk' verließen die drei unter Szenenapplaus diesen Standort und begaben sich wieder zum vorderen Teil der Bühne. Im zweiten Set kamen ein klein wenig häufiger auch lautere Momente ans Ohr und ins Set, welches insgesamt einen guten Querschnitt sämtlicher Alben - abgesehen von 'Von', dem ersten, zunächst ausschließlich in ihrer Heimat erhältlichen Albums - enthielt. Auch nahm nun die Dynamik der visuellen Inszenierung zu. Dabei war der Sound, außer während eines ein paar Minuten für mich ziemlich übersteuerten Basses, sehr gut bis hervorragend und der Abend damit für mehrere Sinne ein nicht weniger als großartiger Genuss. Hierbei wären Ansprachen ans Publikum ohnehin nur störend gewesen, Sänger Jónsi begab sich stattdessen zwischendurch das eine oder andere Mal weit nach vorne an den Rand der Bühne, um sich zu verneigen und so seinen Dank ans Publikum kundzutun; am Schluss fielen gar die Worte Takk - das isländische Danke, welches hierzu auch in Großbuchstaben in die Projektion integriert war - sowie ein Thank You, während die Bänd stehender Ovationen in die mexikanische Nacht verabschiedet wurde. Es ist schwer, im Nachhinein Höhepunkte zu benennen oder herauszuheben, wobei mir die gelegentlichen Steigerungen in hypnotische Grooves fast noch etwas mehr Freude bereiteten, als die vielen Gänsehautmomente in ruhigeren Gefilden. Im Gesamten jedoch fühlte sich der erste Teil dieses Konzerts wie ein ruhiger Fluss mit mancher Stromschnelle an, der sich im Laufe des zweiten zu einem wahrlich mächtigen und mitreißenden Strom auswuchs - bis hin zum Final Grandioso!!
Diesen wuchtigen Abschluss des fünfundsechzigminütigen zweiten Sets und für mich unbestritten den absoluten Höhepunkt, der auch gar keine Zugaben mehr notwendig machte, bildete das letzte Stück des unbetitelten 2002er Albums: "Popplagið". Hier war, vom ruhigen musikalischen Beginn bis hin zur Sound-Explosion, von der Inszenierung per Licht und Projektionen bis hin zum dramatischen Finale - bei welchem Jónsi die brüllende Gitarre schließlich einfach am vorderen Bühnenrand auf dem Boden liegen ließ - noch einmal alles vereint, was das Konzert an Akustik und Visualisierung, Virtuosität und nicht zuletzt an Dramatik aufzubieten hatte. Waoh!! Hier war Sigur Rós als eine Bänd zu erleben, die ihr Schaffen als Gesamtkunstwerk augen- wie ohrenscheinlich offenbar nahezu, wenn nicht bereits vollständig zur Perfektion hin bewegt hat. Muy impresionante, das!!
Danach saß ich mit meinem höchst liebenswerten Begleiterpaar noch ein kleines Weilchen am Treppenaufgang vorm Auditorio, ich sog die Eindrücke der sich in der Nähe des Parks in den Nachthimmel reckenden Hochhäuser, nun den Sound und die Lichter der Stadt sowie das geschäftige Treiben an den Ess- und Verkaufsständen und auf der Straße vor uns in mich auf, bevor wir ein Taxi für die Rückfahrt orderten. Die Wartezeit darauf versüßte ich mir mit einem leckeren Mais-Salsa-Snäck einer der Straßenverkäuferinnen, den ich im Moment sehr genoss, was jedoch auch zwei Tage anhaltende Nachwirkungen bereit halten sollte. Doch sind diese Nachwirkungen retrospektiv als recht gering anzusehen gegenüber jenen Eindrücken - von dieser Reise wie auch dem Konzertbesuch -, die mich nach wie vor und sehr wahrscheinlich noch lange im Griff haben werden...
17.04.17
Die Setliste musste ich natürlich recherchieren, doch erscheint mir die Quelle durchaus seriös und mit meiner Erinnerung vereinbar - here we go:
I: Á / Ekki Múkk / E-Bow / Dauðalagið / Glósóli / Niður / Smáskifa
II: Óveður / Starálfur / Sæglópur / Ný Batterí / Vaka / Festival / Kveikur / Fljótavík / Popplagið
P.S.: ...zum Glück gibt es überall Menschen, die lieber filmen anstatt zu genießen, so kann sich hier ein Eindruck verschafft werden...