10 Jahre ohne Rattenspiegel: Ausstellung, Lesung und Konzert
2.12.16 Freiburg, Slow Club
Ein besonderes Ambiente bot der Freitagabend im Slow Club: Es leuchtete das Flair einer zwar längst verschwundenen, deswegen aber noch lange nicht vergessenen Kneipe wieder auf. 10 Jahre ohne Rattenspiegel war die Veranstaltung betitelt, die ausgesuchte Bilder des Künstlers und ehemaligen Ratten-Betreibers Rolf Hambrecht zur Begutachtung ausstellte, begleitet von Musik, die natürlich ebenjener selbst auswählte; allein schon diese optische wie klangliche Begebenheit ließ bei mir eine ziemliche Rattenstimmung aufkommen. Alles andere hätte mich aber auch beinahe schon erschüttert...
Auf der Bühne war ein Tisch mit blauer Decke, Mikro, Leuchte und Aschenbecher für die folgende Retrospektive vorbereitet. Nach angemessener Zeit, die Bilder anzuschauen sowie den Raum sich füllen zu lassen, betrat mein Ex-Lieblingskneipier die Bühne.
Ein klein wenig nervös wirkte Rolf, nachdem er am Tisch Platz genommen, ein paar Worte zur Begrüßung gesagt und den Text eines ihm unbekannten Bloggers gelesen hatte, in welchem ein schöner Bogen vom verblichenen Rattenspiegel hin zum Slow Club gestrichen war. Selbstverständlich kam der Text nicht ohne Kommentare des Lesenden aus, was denn auch im Lauf der nächsten Stunde der Verlesung von überwiegend Konzertberichten die Hauptsache dieses ungewöhnlichen Auftritts ausmachte.
Die Texte verwob der Lesende stets mit erzählten Anekdoten, mal witzelnd, mal grantelnd, oft ganz einfach darüber sinnierend und konnte die (geschätzt) dreißig Anwesenden damit gut unterhalten. Im Übrigen vergaß er auch nicht, ein paar ehemaliger, mehr oder minder enger Wegbegleiter der Kneipe bzw. ihres Wirts zu gedenken, die mittlerweile verstorben sind.
Einigermaßen schief ging lediglich sein Angebot, beim Lauschen des Rio-am-Piano-Songs "Du bist es" an Menschen zu denken, an die jede*r grade gerne denken möchte. Dies wurde vielmehr als Pause zum verbalen Austausch gründlich missverstanden... (wie zitierte Rolf später aus einem Text über quatschende Menschen während eines Konzertbesuchs: "...in der Ratte wären die wahrscheinlich rausgeflogen!"). Davon abgesehen war meines dezenten Erachtens nicht nur der Song eine hervorragende Wahl, sondern auch dessen Platzierung im Set sowie die im eigentlichen Sinne damit verfolgte Intention... ...so what...
Die - ich wills mal kommentierte Lesung nennen - war auch grade aufgrund der Person des Vorlesenden eine für mich so stimmige Angelegenheit, dass ich mich zwischenzeitlich fast im Rattenspiegel wähnte und noch eine Weile danach unsägliche Lust danach verspürte, nur noch einmal diese Lokalität (die mittlerweile von einem Dönerladen besetzt ist und an welcher ich stets besonders in besonderer Geringschätzung vorbeizugehen pflege) zu betreten, sympathisch grantig begrüßt zu werden, Bier zu trinken, gute Musik zu hören, vielleicht reden vielleicht nicht....
Anyway - nicht lange nach Ende der Hambrechtschen Retrospektive betrat denn auch Craig Bjerring alias Old Seed die Bühne. Er brauchte nicht lange, mich völlig in seinem Bann zu haben, mit großartigen Songs zu großartigem Gitarrenspiel, mit großartiger Stimme zu großartigem Gesang - sehr sehr geil!! Für zwei Stücke erhielt Bjerring musikalische Unterstützung eines Freundes namens Chris, der ihn mit zusätzlicher E-Gitarre begleitete. Sehr schön auch das!!
Ansonsten tat Old Seed, der ein paar Mal in der Ratte gespielt hatte, ebenfalls hin und wieder Gedanken zur Verblichenen kund, mit denen er das Publikum durch sein Set führte, das zwar leider kurz war, aber dennoch so manch hoch intensiven Moment enthielt. Mal hieb er in die Saiten als wärs das letzte Mal, mal zupfte er sie in eindringlich wirkender Sanftheit, mal drang die Stimme bis ins Mark, mal streichelte sie zart das Trommelfell - welch ein Hörgenuss!! Dieser wirklich herausragende Musiker sorgte somit für eine ausgezeichnete Abrundung des im Zeichen so mancher Gedenken stehenden, ausgesprochen schönen Abends!!
4.12.16