The Notwist Vertigo Days (VÖ 29.01.2021 / Morr Music)

 

Es hat etwas gedauert bis zur Zündung: Mindestens drei Durchläufe des dreiseitig bespielten, chic transparent-pinkfarbenem Doppelvinyl waren bei mir nötig, bis es überhaupt begann, dass sich aus den vielen Fragezeichen, die nach den ersten Eindrücken bei mir entstanden, ganz langsam ein in sich stimmiges und eigenwillig stringentes Werk entwickeln konnte. Irritation, Befremdlichkeit und zunächst nur manchmal ein klein wenig Vertrautheit wechseln sich während des Kennenlernprozesses des achten Albums der oberbayrisch Weilheimer Innovatisten ab. Von den Songstrukturen über die Albumdynamik, von einigen Gaststimmen bis zum durch Streicher und Bläser ergänzten Instrumentarium aus Schlagzeug, Bass, Gitarre, Percussion, diverser Elektronik, Synthies und Keyboards, wirkt Vertigo Days zunächst wie eine unwillkürliche Collage aus dem Schaffen der Bänd seit dem 1998er 'Shrink'. Erst nach mehrmaligem Hören entstehen klare Konturen. Das erleichtet nach recht langer Vorfreude auf ein Album schon, denn beim sperrig-verkopften Vorgänger 'Close to the Glass' aus 2014 blieb mir der Zugang sehr lange verwehrt, so dass damals die Tour und das darauf folgende Live-Album nötig waren, um mir die Songs deutlich näher zu bringen...

Vertigo Days entwickelt sich mit jedem weiteren Hören. Wenn sich nach den anfänglichen Irritationen die ersten Riffs und Melodien untergehakt haben, kristallisieren sich immer häufiger eindrückliche Klangerlebnisse mit vielen Wiedererkennungsmomenten heraus, so dass sich die 14 Stücke nach und nach zusammenfügen, bis sie schließlich zu dem Kunstwerk werden, das sie unwiederstreitbar sind. Vom ersten Ton an gehen die Weilheimer recht behutsam vor, takten mit dem einminütigen instrumentalen Intro "Al Norte" auf und gehen dann mit "Into Love/Stars" in eine ruhige, zunächst nachdenkliche Introspektive über, die im selben Song, der ja eigentlich aus zwei Songs besteht, dann noch losgroovt. Fast wäre hier bereits eine alte Vertrautheit hergestellt, wäre da nicht der von The Notwist eher ungewohnte Bäckground-Chor der japanischen Avant-Pop-Sängerin Saya – die auch bereits auf der vergangenen August vor-veröffentlichten 10"-Single "Ship" an den Leadvocals zu hören ist. Beim folgenden Song "Exit Strategy To Myself" klingt es erstmals, nicht zuletzt auch aufgrund der Gitarren, sehr nach den Notwist, die ich kenne und schätze, wie sie eben auch auf der Jahre zurückliegenden letzten Tour und früheren Alben klangen: lakonisch, melancholisch, mit experimentell-noisigem Pop-Appeal.

Nachdem also zwischenzeitlich alle Irritationen geknackt sind, mehren sich auch die hitverdächtigen Ohrwürmer der Platte. So kann ich sagen, ein stets wachsendes Album zu hören, das ohne weiteres als Best-of-Album durchgehen kann in dem Sinne, dass das Songwriting, die Arrangements der Stücke und die Lust am Ausprobieren dessen, was den bändeigenen Stil ausweiten und bereichern kann, die Arbeit der Bänd aus über zwei Dekaden gekonnt auf einem Album versammelt. Mit Vertigo Days bin ich sicherlich noch lange nicht durch. Zum Glück sind ja bei den Weilheimern die Abstände von Werk zu Werk nicht allzu knapp gestaltet...

Hierhin zum Reinhören im Bändcampus und da auf juhtjuub

1.04.21
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Heißer Scheiß

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