Ich hab' zehntausend Tränen, die du borgen kannst
Mark Lanegan 1964-2022

 

Letzten Herbst dachte ich noch, diesen großgewachsenen Typen mit der mittellangen Zottelfrisur und seit geraumer Zeit dazu so gar nicht passender Nerd-Brille haut nichts um. Der steht immer wieder auf und macht weiter. Im Song "Skeleton Key" vom letzten Album singt er denn auch: "I spent my life / trying every way to die" und fragt sich gleich danach: "is it my fate to be the last one standing". Offenbar leider doch nicht...

Seine vor 2 Jahren erschienene und letztes Jahr auf Deutsch veröffentlichte Autobiografie "Alles Dunkel dieser Welt" (Orig.: Sing Backwards and Weep) liest sich wie ein Höllentrip, beschreibt eine permanente Gratwanderung auf der Schwelle zwischen Leben und Tod. Doch schrieb und sang MARK LANEGAN bei alldem immer wieder einfach nur großartige Musik, für die ihm kaum genug Tribut gezollt werden kann.

Das erste Mal, dass ich wissentlich mit der Musik des US-Amerikaners aus einer Kleinstadt nahe Seattle/Washington in Berührung kam, war über eine Musiksendung im lokalen freien Radio. Dort wurde das zu jener Zeit, 2004, frisch veröffentlichte Album Bubblegum ausführlich vorgestellt. Ich war mehr als angefixt und kaufte es umgehend.
Viele Alben des Künstlers mit der tiefdunklen und kratzend rauhen Bariton-Stimme, die auch ohne Worte mehr als genug von der düsteren Seite des Lebens preisgibt, sollten dieser Entdeckung folgen. Die Songs for the Deaf der Queens Of The Stone Age besaß ich bereits, ohne zu wissen, dass Lanegan dort stimmlich wie songschreiberisch tätig war. Diesem Nicht-Wissen trat ich fortan entschlossen entgegen und seither begleitet mich sein Schaffen, das nie den ganz großen Olymp der Musikwelt erreichen konnte, sehr kontinuierlich durchs Leben.

Beim Lesen von "Alles Dunkel dieser Welt" befasste ich mich erneut ausführlich mit vielen seiner Werke, angefangen bei den Screaming Trees, weiter mit Greg Dulli's Twilight Singers und dem Projekt der beiden namens Gutter Twins, mit Kollaborationen mit den Soulsavers, bei welchen er auf dem tollen Album Broken unter anderem ein Duett mit Mike Patton von Faith No More singt; zwei Alben mit Isobell Campbell (Belle & Sebastian) und weitere mit dem britischen Gitarristen Duke Garwood – um nur einige wenige zu nennen. Und natürlich gab es immer wieder Solo-Alben unter eigenem Namen oder als Mark Lanegan Band, wo ebenfalls stets namhafte Gäste in Erscheinung traten. Zuletzt, nebst anderen, etwa Warren Ellis (Nick Cave & The Bad Seeds) und Dylan Carlson von Earth, zu Beginn seiner Karriere arbeitete er u. a. mit J Mascis (Dinosaur Jr) und Mitgliedern von Nirvana zusammen, mit Kurt Cobain war er zudem befreundet. Diese Namen sollten reichen, um eine Idee von der Lücke zu bekommen, die Lanegan nun in der Musikwelt hinterlässt.

Mit seiner charismatischen Stimme, mal sanft, warm, sehnsüchtig und versöhnlich, mal unnahbar und düster, fast bedrohlich klingend, dabei in jedem Atemzug den eigenen Blues tief in sich tragend, veredelte nicht nur er jede Aufnahme, an der er mitwirkte, er traf auch – jedenfalls bei mir – immer den richtigen Nerv. Im Schreiben von Songs zeigte er sich nicht minder kreativ und arbeitsam, großgeworden im Grunge, mit starkem Hang zum Singer-Songwriter, schrieb er die letzten Alben überwiegend am Computer, verwendete vermehrt elektronische Beats und Synthies, ohne dadurch seinen einzigartigen Wiedererkennungswert zu verlieren.

2012 erlebte ich ihn erstmals live. Die Nicht- (oder minimale) Performänce zu sehen, war nicht weniger beeindruckend, als seine Stimme. Ein Konzerterlebnis, an das ich mich noch immer gerne und gut erinnere. Nach dem Konzert versah er bereitwillig am Merchandise CDs und LPs, die dort nach dem Konzert gekauft wurden, mit seiner Unterschrift. Ich besaß bereits alle, die im Angebot waren, stellte mich aber mit der ergatterten Setliste für eine Signatur an. Auf die machte er jedoch nur einen kleinen Kringel und sah mich schelmisch fordernd an, als wolle er sagen: So billig kriegst du kein Autogramm, Bursche! Etwas irritiert und still in mich hinein grummelnd zog ich ab, hatte natürlich keine Lust, mich zu rechtfertigen, dass ich wegen einer Unterschrift keine Lust auf einen Doppelkauf habe. Im Nachhinein amüsiere ich mich stets selbst über diese kleine Anekdote.

Im November 2019, bei seinem drittletzten Deutschland-Konzert und drei Tage vor dem 55ten Geburtstag des Sängers, durfte ich ihn ein zweites Mal live erleben. Leider war es das letzte Mal...

Rest in Peace, Mark!!

2.03.22

Das sehr empfehlenswerte, nunmehr letzte Album Straight Songs Of Sorrow gibts hier in ganzer Länge. Ich empfehle einen Whisky dazu – mindestens...

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