MOTORPSYCHO 25.05.10 Berlin, Astra
Nicht alle Tage im Dasein verlaufen dem Anspruch genügend, dass man sie am Abend auf der persönlichen Lebensqualitätsskala getrost unter gelungen ansiedeln könnte. Doch hat zumindest der in Maßen kluge Mensch im Laufe der Zeit Methoden erkundet, wie man schlechtere Tage (oder gar Phasen) auf angenehmem Niveau zu jonglieren vermag. Ich persönlich nutze Zeit meines Lebens vorzugsweise Musik als solch Mittel zum guten Zweck. Nun kann es aber auch zu Zeiten, in denen man grade nicht allzu unangenehm gekniffen wird schlicht erhebend sein, wenn das erste gesungene Wort auf einem Konzert "Smile" lautet.
So geschah es am Abend eines sonnigen Dienstag nach Pfingsten. Zugegeben, es bedurfte ein wenig Geduld, oder - bei Hang zu positivem Denken - just Verlängerung der Vorfreude. Denn zunächst stand im ausgesprochen hübschen Berliner Astra-Club die lokale Bänd Rotor auf den Brettern, ein Trio mit Gitarre, Bass und Schlagzeug, auf deren schweren, rifforientierten Instrumentalsound ich mich jedoch nicht einlassen konnte und dies auch gar nicht wollte. Mögen sie ihre Sache auch gut gemacht haben, meine kleine Wenigkeit war doch zu sehr auf das eingestellt, was mich danach erwarten sollte.
Die fällige Umbaupause gönnte ich denn also nicht dem Gang an die frische Luft, sondern ließ viel lieber die nach draußen schwärmende Menge an mir vorbei ziehen, welche den Saal somit etwas ausdünnte und mir einen Standort recht weit vorne bescheren konnte. Kurz nach 22 Uhr betraten schließlich unter erwartungsfrohem Applaus MOTORPSYCHO die Bühne.
Kenneth Kapstad nahm seinen Platz am weißen, recht gut ausgestatteten Schlagzeug ein, platziert aus Sicht des Publikums am linken, vorderen Bühnenrand. Daneben, in der Mitte also, postierte sich Bent Saether, zunächst mit Gitarre, zu dessen Linken stand der rauschebärtige Gitarrenkünstler Hans Magnus Ryan, auch schlicht Snah genannt. Es folgte eine knappe Begrüßung, um sogleich mit "Taifun" (vom ehrwürdigen 98er Doppelalbum "Trust Us") auf akustische Reise durchs motorpsychedelische Universum zu gehen. Schön verhalten begann das Stück, ruhig, ja fast als anmutig zu beschreiben, sich dann langsam unter steter Zunahme von Kraft und Intensität in einen kleinen Rausch steigernd, ohne allzu bald jegliche Grenzen auszuloten. Waoh!! Was für ein Beginn!!
Dem Eröffnungsstück folgten ein paar Worte von Herrn Saether - zunächst auf norwegisch, als sei er bereits auch selbst etwas verreist gewesen. Er fasste sogleich nochmal auf englisch zusammen und tat nun doch verständlicher kund, dass jetzt ein Lied folgen würde, welches auf der A-Seite der neuen Single zu hören sei. "The Visitant", ein schickes, recht kurzes gehaltenes, groovy Mid-Tempo-Stück. Hierauf wurde der erste Song des aktuellen Albums "Heavy Metal Fruit" gespielt: "X-3 (Knuckleheads In Space)", welches live mit noch mehr Wucht hinlangte, als auf Platte. Ab nun kann ich auch nicht mehr die genaue Reihenfolge der Stücke rekonstruieren, zumal häufig in lustvolles Jämmen abgedriftet wurde, Songs ineinander verwoben wurden, einander fast zu verschlingen drohten und akustisch ein um´s andere Mal regelrecht abgehoben wurde. Eben genau so, wie man es von dieser fabelhaften Bänd kennt und weshalb man die so schätzt, nach deren Philosophie ein Song niemals endgültig fertiggestellt ist.
Vom aktuellen Album "Heavy Metal Fruit" waren noch "Starhammer", "W.B.A.T." und "The Bomb-Proof Roll and Beyond" zu hören, auch vom Vorgänger "Child of the Future" waren mindestens "mr. victim" und - wenn ich mich nicht täusche - "whole lotta diana" vertreten. Ebenso meine ich, mich zumindest an Passagen von Stücken aus "Little Lucid Moments" erinnern zu können. Wie dem auch sei, es war pure, allerreinste Freude, sich als Zuhörer in diesen Soundeskapaden und Improvisationen zu verlieren.
Keineswegs sollte auf ältere Stücke verzichtet werden, so waren "A Shrug & A Fistful" und der kleine Hit "Trapdoor" von "Timothy`s Monster" dabei. Bei letzterem arbeitete Bent mit einem Blatt zum Text-Spicken; offenbar ein schon länger nicht mehr gespielter Song. Außerdem im Set war - sehr ausufernd und knochentrocken daher kommend - "Mountain", von der gleichnamigen, sehr alten EP (bzw. der Vinyl-Version von "Demon Box"). Sehr fett, das!!
Das Kernstück jedoch bildete das unglaubliche "Un Chien d`Espace", bei welchem Snah sich ans links neben ihm bereit stehende Keyboard begab, uns in schier unendliche Weiten an Sounds zu führen, hervorgezaubert aus Tasten, Knöpfen und Reglern; mal sanft und weich klingend, sich dann wieder hin zu orgiastisch lärmenden, wahren Soundorgasmen hochsteigernd, dann irgendwann wieder per Gitarre in der Rahmenmelodie Bodenhaftung zurückgewinnend. Welch Zelebrierung der Improvisation!! Das waren (geschätzt) dreißig Minuten heller Wahnsinn!! Und dabei - trotz sich zeitweise nahe an der Schmerzgrenze bewegender Lautstärke - mit insgesamt vorzüglichem Sound genießbar. Lediglich die Gesänge kamen für mein Empfinden im Lauf des Abends nicht jederzeit ganz einwandfrei zu Gehör.
Während alldem trommelte sich Herr Kapstad wie ein Wilder durch die Songs, punktgenau und schön druckvoll im Sound, doch jederzeit mit dem richtigen Gefühl zur Hand. Snah wiederum wiegte sich bereits bei ersten Ansätzen von Rhythmen, als würde er durch die bloße Anwesenheit von Klängen bereits in Bewegung versetzt, derweil auch Herr Saether sich immer wieder von seinen meist per Bass - hier und da auch per Gitarre - in den Raum entlassenen Rhythmen schaukeln ließ. Selbst zu einem kleinen Tänzchen nebeneinander ließen die beiden musikalisch wohl nur sehr schwer erreichbaren Saitenmagiere sich zwischendurch hinreißen.
Gelegentlich gab´s kurze Ansagen, man bedankte sich bei den ca. 1500 Anwesenden, immer wieder war freudiges Lächeln auf den Gesichtern der Musiker zu sehen, die sehr offensichtlich großen Spaß an dem hatten, was sie in sympathischster Manier, völlig allürenfrei und ohne jedwede Art von Show - ja, nicht einmal die Lichter wurden übermäßig bemüht - den Sound optisch allzu sehr zu färben. Man machte einfach nur Musik. Musik, auf´s Beste zelebriert von drei Menschen, die hervorragend harmonierten, die immer wieder miteinander kommunizierten, mit Worten oder Blicken, in erster Linie aber durch ihre Instrumente.
Nach annähernd zwei Stunden verließ das Trio erstmals kurz die Bühne, um mit der einzigen Zugabe des Abends, dem fantastischen, zwanzigminütigen "Gullible`s Travails" diesen mehr als denkwürdigen Auftritt nach zwei Stunden und fünfzehn Minuten final zu beschließen.
So kann ich also verzückt verkünden, hier ein Konzerterlebnis erhabenster Dimensionen serviert bekommen zu haben, aufs vorzüglichste dargeboten von äußerst ungewöhnlichen Musikern, die hiermit - wenn überhaupt - dann nur Wünsche nach mehr davon offen ließen...
31.05.10