MOTORPSYCHO       21.05.22 Reutlingen, franz.k

 

Von wegen schwäbische Provinz – dort gibts nicht nur am nördlichen Rande des landeshauptstädtischen Großmolochs die außerordentlich schöne Manufaktur in Schorndorf, sondern ein Stück südwärts den nicht weniger urban-charmanten, etwas kleineren Club franz.k in Reutlingen. Dort gastierten, zum zweiten Mal nach dem vor-pandemischen Gitarren-Feuerwerk in 2019, Motorpsycho, um einen für die Kreativ-Rocker aus dem hohen Norden recht ungewöhnlichen Auftritt zu performen.

Der Verlauf des Konzertabends war der Gesamtkonzeption des "The All Is One"-Doppel-Albums (2020) sehr ähnlich: Ein Kern aus hypnotisierenden, typisch motorpsychedelischen Auslotungen von Jäm und Sound, umrahmt von recht songorientierten Stücken und diesmal nur von Zeit zu Zeit gespickt mit einer stets erfrischenden Prise harten Rocksounds...
Nach Begrüßung der etwa drei- bis vierhundert Anwesenden mit einem höflichen "Guten Abend" Herrn Saether's starteten die Herrn Ryan, Saether, Järmyr und Fiske ihr insgesamt zweieinhalbstündiges Set. Wenn Motorpsycho die Bühne betreten, dem Publikum zunickend und -winkend, wirkt es immer so, als schlurften sie zur gemeinsamen Probe in den Raum und sind sehr erfreut darüber, dass da Leute sind, die gerne zuhören möchten. Einfach sympathisch...

Los gings mit "Hell pt 1–3" von 'Still Life with Eggplant'. Dieser Opener, so dachte ich, könnte auf einen ähnlich brachialen Gig wie vor drei Jahren in diesen Gefilden hindeuten, während mir bereits die ersten Klänge angenehmste Ganzkörpergänsehaut bescherten. Doch schickte das Quartett dem rockenden Auftakt direkt das wunderschön verträumt-melancholische "Lady May" vom immer noch aktuellen 2021er Werk 'Kingdom of Oblivion' hinterher. Dies wurde zwar elektrischer als auf Platte gespielt, doch auch in dieser stark veränderten Instrumentierung ist es dennoch ein Song der ruhigeren Seite der Bänd. Im Bühnenhintergrund unterlegten derweil dezent gestaltete Projektionen die musikalische Präsentation dieser formidablen Live-Bänd, die stets durchweg gestisch und mimisch souverän durch den Bassisten dirigiert wird.

Zu weiteren Überraschungen gehörte für mich – nebst dem treibenden "Sail On" von 'Black Hole/Blank Canvas' aus 2006 – das recht nahe an der Albumversion dargebotene "The Other Fool" vom symphonischen 2000er Werk 'Let Them Eat Cake', von welchem später "Upstairs/Downstairs" die Zugaben nach gut hundertdreißig Minuten eröffnete. Den unbestrittenen Kern meines diesjährigen Konzerthighlights bildete jedoch das fünfteilige "N.O.X." von eingangs besagtem 'The All Is One':

Hier gab es sowohl die Bläser als auch die Violine zu kompensieren, die bei der Album-Aufnahme so famos brillieren. Dies taten Snah und Reine hervorragend, indem sie die vielen ausgedehnten Passagen des Stücks mittels Klängen ihres jeweiligen Mellotrons ausschmückten; sehr sphärisch-psychedelische Klänge, mal mit mehr und mal mit weniger Melodien garniert, verbanden sich mit Tomas' oft wirbelnden Drums und den unermüdlich antreibenden, dabei schier unglaublich groovy Bass- und Gitarrenläufen Bent's, der bis auf zwei ineinander übergehende Zugabensongs ausschließlich am doppelhalsigen Instrument zugange war. Mitsamt dem lieblichen "Delusion" als Einstieg, dauerte dieses unfassbar energetisch-dynamische Stück mit seinen unterschiedlichsten Einflüssen aus Jäzz und Rock, Trance und Ambient, bis hin zu vierstimmig, fast à capella gesungenen Passagen, ganze fünfzig Minuten!! Nicht erst hier schien das Publikum akustisch komplett verwoben in den Klängen der norwegischen Ausnahmemusiker...

Lediglich am Sound wäre hier und da noch ein klein wenig Luft nach oben gewesen, dennoch war auch dieser spätestens nach ein paar Stücken gut. Dieses kleine Manko an Differenzierung der Klänge wäre womöglich weniger aufgefallen, wenn die Songauswahl, bis auf wenige Ausnahmen wie "The Pilgim" (Wishone Ash), gemedleyt mit "Überwagner", und dem – diesen in meinen Ohren erneut großartigen Auftritt – abschließenden UFO-Cover "Rock Bottom" mehr Schwerpunkt auf die krachend verzerrte rockige Seite der Bänd gelegt worden wäre. Doch bemerkte Bent zwischendurch, sie seien das letzte Mal in dieser Lokalität darauf aufmerksam gemacht worden, sehr laut gewesen zu sein, weshalb sie nun ein eher ruhiges Set zu spielen gedenken. Ein Schelm wer denkt, die Schwaben mögen gar an Lautstärke sparen...

Änywäy – mir jedenfalls werden die Erinnerungen an Klänge wie Bilder dieses Auftritts sicher noch die nächste Zeit versüßen, zumal es nun einige länger nicht gehörte Alben wieder mal aufzulegen gilt. Nicht zuletzt war der Ausklang des Abends im benachbarten Biergarten sehr angenehm, selbstverständlich erst nach Erstehen von Shirt und Tour-Single. Wir ließen uns noch für einen kleinen erfrischenden Drink nieder, ehe die Landstraßen und Autobahnen uns des nächtens verschluckten und rundum zufrieden nach Hause führten...


26.05.22


Bewegte Bilder mit Sounds gibts da - und hier noch die eins zu eins übertragene Abschrift der originalen Setliste:

hell 1-3 / lady may / the other fool / uber/pilgim / entropy / sail on / cosmoctopus / pacific / delusion / NOX // up/down / like chrome / (+ rock bottom?)

Und für besonders Wissbegierige nenne ich gerne noch die genaue Angabe der Titel und entsprechenden Alben mit Erscheinungsjahr:

Hell pt 1-3 – Still Life with Eggplant (2013)
Lady May – Kingdom of Oblivion (2021)
The Other Fool – Let Them Eat Cake (2000)
Überwagner or a Billion Bubbles in My Mind – It's A Love Cult (2001)
The Pilgim (Wishbone Ash-Cover vom Album 'Pilgramage', 1971)
Entropy – Behind The Sun (2014)
Sail On – Black Hole/Blank Canvas (2006)
The Transmutation of the Cosmoctopus Lurker – Kingdom of Oblivion (2021)
A Pacific Sonata – The Tower (2018)
Delusion (The Reign of Humbug) – The All Is One (2020)
N. O. X. pt 1-5 – The All Is One (2020)
Upstairs/Downstairs – Let Them Eat Cake (2000)
Like Chrome – The All Is One (2020)
Rock Bottom (UFO–Cover (vom Album 'Phenomenon', 1974)


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