Pearl Jam                          Berlin, Wuhlheide 30.Juni 2010


Über Pearl Jam aus Seattle muss man glaube ich nicht mehr viel Worte verlieren. Die letzten Aufrechten, die Überlebenden dessen, was man Anfang der 90er unter dem etwas unglücklichen Etikett Grunge zusammenfasste. Ein Soundtrack, der wohl viele Mittdreißiger durch ihre erste Sturm-und-Drang Phase geleitete.

Das Ganze auf meiner Berliner Lieblings-Freiluftfläche, der Wuhlheide. Immer wieder erhebend sich aus der S-Bahn zu quälen, den 10minutigen Fussweg durch das weitläufige Waldgelände in größter Vorfreude zu genießen, um sich dann dem finalen Kick ausgesetzt zu sehen: Dem schlicht umwerfenden Blick hinunter auf das weite Rund der Massen vor dieser architektonisch so ansprechend gestalteten Bühne.

Das Vorprogramm sollte Ben Harper bestreiten, so viel war im Vorfeld durchgesickert. Ein Künstler, dessen Musik ich vor einigen Jahren mal durchaus zu schätzen wusste, der mich mit seinen letzten Outputs allerdings hauptsächlich gelangweilt hat. Deshalb eigentlich gar nicht mal so ein Drama, dass wir von seinem Set rein gar nichts mehr mitbekamen. So ist das halt manchmal, wenn man mit 8 Menschen und 8 unterschiedlich tickenden inneren Uhren unterwegs ist. C'est la vie! Ein bisschen ärgern durfte man sich aber auch darüber, denn der Auftritt wurde von den Umstehenden durchaus gelobt, nicht zuletzt weil sich Mr. Vedder zu einer wohl ziemlich beeindruckenden Version des Queen-Klassikers "Under Pressure" auf die Bretter bemühte.

Und dann, wie erwartet völlig ohne Tamtam und sonstige Mätzchen, traten die Hauptpersonen des Abends vor die Menge und legten erstmal einen entspannten Start hin. Das selten gehörte und meines Wissens nie regulär erschienene 'Long Road' (ein Überbleibsel der Sessions, die zu Neil Youngs großartigem 'Mirror Ball' von 1995 führte) und 'Got Some' vom neuen Album, bildete die kurze Aufwärmphase, bevor mit 'Why go', 'Given to Fly' und 'Elderly Woman Behind The Counter In A Small Town' erstmal in die Klassiker-Kiste gegriffen wurde.

Überhaupt gehört die Songauswahl von Pearl Jam wohl zum Besten, was dem nicht nur auf großen Hits gepolten Konzertbesucher (in diesem Fall also so ziemlich jedem, siehe unten) geboten werden kann. Ich habe mir z.B. das sprichwörtliche Loch in den Bauch gefreut, solche Kracher wie 'Spin the Black Circle', ' Corduroy' (beide vom zuletzt live sträflich vernachlässigten Vitalogy-Album) oder 'Do the Evolution' in die Gehörgänge gebohrt zu bekommen. Letzterer Song beendete in einer alles niedermähenden Version das erste, offizielle Set, die Pflicht quasi. Was jetzt folgte war die Kür und gleichzeitig ganz großes Ohrenkino. Besonders Gitarrist Mike McCready stach heraus. Eindeutig der Motor dieses gut geölten Uhrwerks, trieb er seine Mitmusiker immer wieder zu Höchstleistungen an und stand dabei keine Sekunde still. 'Emotional Leader' heisst das im modernen Fussballdeutsch.

Natürlich wartete man auf die traditionelle Cover-Zugabe, die bei Pearl Jam – Konzerten ja schon zum Pflichtprogramm gehört. Was um alles in der Welt Peter Buck wohl gerade in Berlin zu suchen hatte? Egal, mit dem R.E.M.–Klampfer als Special Guest schleuderte man eine agile Version von 'Kick out the jam' – der Punk-Blaupause schlechthin – in die Menge, und spätestens jetzt war rundherum Tollhaus angesagt.

Dann gab es auch noch diesen einen wirklich ergreifenden Moment, der in seiner ehrlichen Anteilnahme wohl jeden irgendwie berührt hat. Just an diesem 30.Juni jährte sich nämlich die Katastrophe von Roskilde, bei der während eines Konzertes der Band neun Menschen ums Leben kamen, zum 10. Mal. Ein Ereignis, das die Band geprägt hat, was man auch an diesem Abend spürte. Mit dem epischem 'Unthought Know' (unzweifelhaft ein Höhepunkt von 'Backspacer') startet sie in den zweiten Zugabenteil. Danach erinnerte Vedder an die Tragödie und die ganze Wuhlheide schwieg tatsächlich eine gefühlte Minute lang in Trauer mit den Angehörigen, bevor die ersten Gitarren-Akkorde von 'Black' durch das Rund tönten. Die Nacht hatte mittlerweile die Dämmerung abgelöst. Die Vokabel 'Ganzkörpergänsehaut' beschreibt meine Gefühle in diesen Minuten nur äußerst unzulänglich.

Noch ein paar Worte zu den Fans: Nein, es ist keine Übertreibung, Pearl Jam in puncto treuer Anhängerschaft als die Grateful Dead des frühen 21.Jahrhunderts zu bezeichnen. Es war das dritte Konzert, das ich von dieser Band erleben durfte, und es ist immer wieder unglaublich auf welche Freaks (im positiven Sinne) man dort trifft. Dass die meisten wirklich jede Textzeile ohne die kleinste Unsicherheit mitsingen können, ist schon kein ungewohntes Erlebnis mehr. Wenn der Chronist aber dann diesen Typ neben sich stehen sieht, dessen kompletter Rücken mit einem Tattoo des Konterfeis von Eddie Vedder bedeckt wird, oder jenen junge Fan, vielleicht gerade mal Mitte 20, der seit Jahren jede freie Minute nutzt um seiner Herzens-Band hinterher zu reisen - ja, dann darf man getrost weiter an die heilende Kraft des Rock'n Roll glauben.

mww

(Martin, 9.07.10)

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