Die Goldenen Zitronen |
13.09.06 Jazzhaus, Freiburg |
"Tötet mich nicht, was hab ich euch getan
Da nehmt mein Geld, werft weg die Pistole
Tut nichts meiner Frau, lasst uns am Leben
Ihr kommt doch nicht weit, seids doch vernünftig
was habt ihr denn davon, wenn ihr uns jetzt tötet"
So dröhnts mir heute morgen noch im Kopf. Diese Zeilen stammen von Schorsch Kamerun, seines Zeichens Sänger der Goldenen Zitronen, die seit beinahe 20 Jahren ihr (Un)Wesen auf deutschen Bühnen treiben, dem zahlreichen Publikum mehr oder weniger kryptische Texte durchs Gehirn jagen, unterlegt mit eigenwilligen, treibenden Rhythmen.
"Gibts die denn noch?" war die eine Reaktion, die ich im Vorfeld auf den Hinweis bekam, dass ich ihr Konzert besuchen würde. "Sagt mir gar nix" die andere. Beide Äußerungen, liebe Fäns und geschätzte Leser, sind leider sehr unqualifiziert und bedürfen offensichtlich etwas Nachhilfe in kulturellen Bildungsangelegenheiten. Zugegeben, ich selbst habe den Werdegang dieser im Jazzhaus-Heftchen als Underground-Indie-Punk-Bänd betitelten sechsköpfigen Truppe aus Hamburg auch nicht grade hochkonzentriert verfolgt. Mit 18 hab ich mir ihr Debut-Album "Porsche, Genscher, Hallo HSV" zugelegt, dazu noch die Maxi-Single "Doris ist in der Gang", die ich beide ne zeitlang sehr gerne gehört habe, einige Jahre später ließ mir mein jetziger Bändlieder das Album "Economy Class" zukommen, in welches ich mehr oder weniger nur mal so reingehört hab, ansonsten hab ich einfach nur in Zeitschriften davon gelesen, dass es hie und da mal wieder ein neues Zitronen-Album gab.
Nun also gaben sie sich die Ehre, Freiburg mit einem Konzert zu beglücken.
Ich hatte mir vorgenommen, endlich mal wieder nicht zu spät zu einem Konzert zu erscheinen, auf der Karte stand, Beginn sei um 20:00 Uhr, beim Vorverkauf konnte mir leider niemand Auskunft darüber erteilen, ob es eine Vorbänd gibt oder nicht, weshalb ich mit meinem Bändlieder und einer neugierigen Begleiterin zeitig loszog und wir tatsächlich nur wenige Minuten nach acht an Ort und Stelle eintrafen, was zur Folge hatte, dass noch eine knappe halbe Stunde lang irgendwie Konversation betrieben werden musste, bis die ins Vorprogramm gerutschte Bänd School of Zuversicht, ebenfalls aus Hamburg, um halb neun mit ihrem 25minütigen Programm an den Start ging. Was soll ich sagen, es dauerte nicht lange, bis ich leider äußern musste, dass ich das nächste Mal dann vielleicht doch lieber erst wieder so gegen neun anrücken werde, denn was das Trio bot, riss weder mich, noch meine charmante Begleiterin und schon überhaupt gar nicht meinen Bändlieder vom Hocker. Der Sound kam mindestens zur Hälfte von CD, zwei Mal spielte die Sängerin nebenbei so ein bisschen E-Gitarre, Knarf Rellöm am Bass zupfte denselben mehr so sporadisch als kontinuierlich, der Schlagzeuger verschwand zeitweise gar ganz von der Bühne. Den Sound machte Paul vom Mischpult aus. Mehr gibts dazu von meiner Seite nicht zu erzählen.
Nach kurzer Pause betraten dann die Zitronen die Bühne. Erstmal war alles schön dunkel, aus dem Synthie gabs ambientmäßige Klänge, unterstützt durch eine hervorragend gespielte Triangel, welche den Soundteppich zu einem in form einer Kurzgeschichte vorgetragenen Text über Stalins Grab und wasweißich noch alles bildete, das Ganze vom Sänger mit dem Rücken zum Publikum präsentiert. Soweit der Prolog, der deutlich machte, dass die Jungs, die mittlerweile richtige Männer geworden sind, noch immer politisch interessiert und ebenso kritisch sind. Danach rockten sie dann los, gute 100 Minuten lang, in stetem Wechsel an den Instrumenten, treibendes Schlagzeug, wummernder Bass (mal rechts- und mal linksrum gespielt), abgefahrener Gitarrensound (zwei Gitarren waren am Start, ein elektrische und eine akustische, wobei letztere ebenfalls ohne Gnade durch den Verzerrer gejagt wurde), Keyboard-Synthie-Soundeffekte, Rasseln, Schellen, Händcläps, hin und wieder ne Bohrmaschine ans Mikro gehalten und der charakteristische Sprechgesang Schorsch Kameruns, der so viel an Text zu erzählen weiß, dass er damit auch gut und gerne ein mitteldickes Taschenbuch hätte füllen können.
Für Freunde der Schubladisierung von Musikstilen ist es nicht leicht, eine solche zu finden, die präzise genug beschreibt, was es da zu hören gab. Neoavantgardistischer New-Wave mit Punk-Einflüssen vielleicht. Oder so. Scheiß drauf, es hat jedenfalls nicht nur beeindruckt, es hat auch richtig Spaß gemacht, auf wie vor der Bühne, das war nicht zu übersehen, zumal das Ganze wie bei allen guten Bänds live wesentlich besser klang als auf CD. Es wurde gepogt, gelacht, getanzt und gejubelt. Gerne hätte ich mir noch eine Platte gekauft, da aber der Geldbeutel meines Bändlieders samt Inhalt auf Reisen gegangen war musste ich eben auch seinen Getränkekonsum mitfinanzieren, und da im Jazzhaus immer so früh Schluss ist, stand danach noch der Besuch diverser Kneipen auf dem Programm, da muss man dann einfach Prioritäten zu setzen wissen.
So verabschiedeten wir uns herzlichst von unserer charmanten Begleiterin, deren Neugier voll und ganz belohnt worden war und suchten ausgesprochen gut gelaunt ob des schönen Konzertereignis nicht weniger als 3 Kneipen auf, bevor wir schließlich zufrieden den Heimweg antraten.
Epilog:
"Ein Übermaß an fiktiven Abbildern der Zukunft hatte bewirkt, dass ihre Schöpfer in diesen Bildern gefangen blieben.(...) Verschiedene Dinge hatte die Wissenschaft zweifelsfrei festgestellt, zum Beispiel dass die Erde eine Scheibe sei, die von der einen Seite von der Sonne beschienen würde, während die andere nunmal für ewig im Dunkeln läge.(...) Kriege waren durch sportlichen Wettbewerb ersetzt worden oder wurden als Schaukämpfe zur Erbauung auf der Unterseite ausgetragen."
(auch dies: Schorsch Kamerun )