Neil Young

15.08.08 Colmar, Foire aux Vins

 

Es ist schon amüsant, wie sich manche Begebenheiten im Leben gelegentlich wie Puzzleteile zusammenfügen, auch wenn man selbst gar nichts dazu beigetragen hat. So fiel mir vor einigen Wochen ein Buch mit dem Titel „Das Buch der von Neil Young Getöteten“ in die Hand. Ich studierte die Inhaltsangabe, überflog die erste Seite, wie ich das immer mache bei mir unbekannten Autoren, kaufte es und las es mit viel Spaß und großem Interesse. Ein kleines Manko beim Schmökern stellte sich lediglich insofern dar, dass ich mit dem Werk dieses zweifelsohne großen Künstlers nicht besonders gut vertraut bin und dem zur Folge nur einen kleinen Teil der im Buch angesprochenen und zum Teil sehr ausführlich beschriebenen Songs kannte. Wenige Wochen nachdem ich die Lektüre beendet hatte, erreichte mich die E-mail eines glühenden Neil-Young-Verehrers, der anfragte, ob ich Lust hätte, mit ihm ein Konzert des Kanadiers mit den markant tönenden Stimmbändern im benachbarten Ausland zu besuchen. Ich sagte spontan zu.

So begab es sich, dass wir uns an einem etwas regnerischen statt hochsommerlichen Freitagabend ins Elsass aufmachten, vorsorglich mit Regenjacken bewaffnet, da wir nicht wussten, ob das im Rahmen einer großen Weinmesse stattfindende Ereignis unter freiem Himmel oder innerhalb wetterfester Wände stattfinden würde. Eine gute Stunde später, in der ich per Autoradio Eindrücke des aktuellen Albums der lebenden Legende gewinnen konnte, stand fest, dass die Jacken unnötiger Ballast waren und sehr uncool um die Hüften gebunden werden mussten, denn das Gelände war überdacht und die Regenwolken hatten sich außerdem gar nicht erst mit uns über den Rhein getraut, aber man kennt das ja: geht man ohne entsprechende Kluft aus dem Haus, hat man alle Wetter, zeigt man sich gewappnet, bleibt es trocken. Die Rechnung war also mal wieder aufgegangen.

Die von uns souverän angesteuerte Lokalität lag am Rande eines Messegeländes. Sie war – wie bereits erwähnt – zum größten Teil überdacht und nur an den Seiten offen, so dass man schön die untergehende Sonne betrachten konnte und später dem Mond beim Beginn seiner allnächtlichen Bahn folgen konnte – falls man den Blick überhaupt von der Bühne zu lassen gewillt war. Ich fühlte mich spontan an eine Art Kolosseum erinnert, vor der Bühne die Stehplätze, wo wir auf Grund unserer zeitigen Anreise einen ordentlichen Platz im vorderen Drittel behaupten konnten, dahinter im Halbkreis die abgestuft aufsteigenden Sitzplätze, ganz hinten noch eine nicht grade mickrige Tribüne. Der nette Betonklotz war ausverkauft, ich würde mal schätzen, dass etwa fünf- bis sechstausend Leute Platz fanden. So standen wir, Baguette mit Jambon und Fromage, aber ohne Claudette und Jeannette mampfend und fleißig konversierend, bis die Vorband ihren Kurzauftritt begann, worüber ich mich hier allerdings lieber nicht auslassen möchte. Wir überstanden sie ohne größere psychische Schäden, lediglich der schlechte Sound bereitete uns echte Sorgen fürs folgende Hauptprogramm, was sich allerdings bald als unbegründet herausstellen sollte. Übrigens gestehe ich gerne, mit unweigerlichem Fortschreiten der Zeit und anbetrachts der Tatsache, in Kürze einen der wahrscheinlich größten Musiker unserer Zeit live erleben zu dürfen, etwas nervös geworden zu sein.

Um kurz nach 21 Uhr war es dann soweit, Neil Young und seine Band betraten die Bühne. Ohne Ansage oder irgendwelche Begrüßungsreden wurde das Set rockig mit „Love And Only Love“ gestartet, darauf folgte sogleich „Hey Hey, My My“, dem Song mit einer der wahrscheinlich berühmtesten Textzeilen der Rockmusik überhaupt, zu traurigem Ruhm gekommen als Abschiedsworte von Kurt Cobain. Mein in Sachen Neil Young recht fachkundiger Begleiter mutmaßte alsbald, dass dies eine echte Best-Of-Show werden könnte. Er sollte sich nicht getäuscht haben.
Ich selbst kannte vielleicht die Hälfte der Songs, doch der Meister hatte wohl an alle Eventualitäten gedacht und am linken Bühnenrand nebst einer hübschen Indianerfigur eine Vorrichtung angebracht, auf die einer der Roadies zu jedem Song ein Gemälde auflegte, auf welchem der Songtitel des gerade gespielten Liedes zu lesen war. Schönes Schmankerl am Rande, wie ich meine. Und dann auch noch so herrlich unzeitgemäß!!
Dabei merkte man dem so genannten Godfather of Grunge sein fortgeschrittenes Alter keineswegs an, er war praktisch durchweg in Bewegung, trägt offensichtlich noch immer genügend Wut in sich, seinen Songs die nötige Energie zu verleihen und erging sich in einer Spielfreude, dass es eine wahre Pracht war.


Das Set fügte sich aus drei zeitlich etwa gleichlangen Teilen zusammen: Im ersten Teil wurde gerockt, ohne die anfängliche Instrumentierung zu ändern, also mit Herrn Young an E-Gitarre und Gesang, einem seiner langjährigen Begleiter an der elektrischen Rhythmusgitarre, Schlagzeug und Bass natürlich, dazu ein gemischt-geschlechtliches Backgroundduo, dessen weiblicher Teil des Meisters Angetraute stellte. Dies entsprach denn auch der Band, mit der das aktuelle Album eingespielt worden war, von welchem er lediglich einen Song, „Spirit Road“, zum Besten gab. Der zu Beginn noch immer etwas dürftige Sound war mittlerweile denn auch zu etwas gewachsen, das man getrost und ohne rot zu werden Hörgenuss nennen konnte. Lediglich Stimme und Gitarre des Bandleaders hätten für mich gerne noch einen kleinen Tick mehr zur Geltung kommen dürfen, doch war dies vom Chef möglicherweise nicht gewollt.
Im zweiten Teil wurde es etwas ruhiger, die sehr gute Begleit-Band verließ zunächst die Bühne und es gab „The Needle And The Damage Done“ alleine mit akustischer Gitarre und Mundharmonika zu bestaunen, darauf folgend noch einen weiteren Song solo an der Orgel, bevor das Gefolge zurückkam, eine Pedal-Steel-Gitarre zum Einsatz kam, Klavier, Orgel, ein hübsches Instrumentenwechselspiel. Während dieses Abschnitts wurde unter anderem gar „Heart Of Gold“ dargeboten, was selbst meinen Begleiter überraschte, das ich allerdings auch nicht sonderlich vermisst hätte, wäre darauf verzichtet worden. Sei´s drum, sollte dies als Manko betrachtet werden, so war es das einzige bei diesem Auftritt.


Mir bekannte Songs in diesem sozusagen Mittelteil des Auftritts waren noch „Old Man“, „Cinnamon Girl“ und „Oh, Lonesome Me“. Zwischendurch gab es die eine oder andere kurze Ansprache ans Publikum, zum Beispiel ein paar Worte über den Mond, den der gute Neil wohl hinter dem Publikum im Blick hatte, woraufhin er diese schöne Nacht „under a French moon“ lobte und uns nebenbei erklärte, dass der Mond überall in der Welt anders aussähe, hier und heute aber besonders schön sei. Nach einiger Zeit und einigen Songs gab der Chef die akustische Gitarre wieder ab und es wurde erneut gerockt, nun weiterhin mit immer wieder wechselnder Instrumentierung, sogar der Roadie durfte mal an ein Banjo ran.
Mein Zeitgefühl hatte sich längst in die Nacht hinaus verabschiedet, während das Set unweigerlich auf seinen Höhepunkt zusteuerte, der in einer Wahnsinnsversion von „Cowgirl In The Sand“ mündete, in welchem der Meister ausgiebig sämtliche Register seiner Saitenkünste zog und meinetwegen bis zum nächsten Morgen hätte weitermachen dürfen. Und damit nicht genug, schloss daran als letzter Song „Rockin´ In The Free World an“, spätestens jetzt dürfte auch der letzte Sitzplatzhörer aufgestanden sein, um die freie Welt auch standesgemäß zu rocken. Mittlerweile waren uns bereits über zwei Stunden ohne Pause mit erstklassiger Musik versüßt worden, die Musiker verabschiedeten sich, um kurz darauf für einen einzigen Zugabensong zurück zu kommen, ein Cover eines Lennon-Songs, an dessen Schluss die alte Gibson von ihrem Herrn so dermaßen bearbeitet wurde, bis er ihr sämtliche Saiten von Hals und Körper gerissen hatte und nach einhundertvierzig sehr beeindruckenden Minuten das Konzert in einer wahren Feedbackorgie seinen Abschluss fand.

Ein großartiges Ende eines großartigen Auftritts eines großartigen Musikers!!


Epilog:
Nun gibt es im Leben immer wieder Begebenheiten, für die manche von uns einfach etwas länger benötigen, sie zu begreifen; haben diejenigen es dann aber geschafft, dann ist es auch gleich richtig verinnerlicht. Und so kann nun endlich auch ich, der ich mich nicht selten dieser Kategorie Mensch zugehörig fühle, nicht nur verstehen, warum man Neil Young als Godfather of Grunge zu bezeichnen pflegt, sondern befiel mich gleichsam umgehend die leuchtende Erkenntnis, dass er diese Bezeichnung absolut berechtigt trägt.
In diesem Sinne: Keep on rockin´ in the free World!!

 


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