Das Geheimnis der mysteriösen Totengräberbienen

 

 

 

Einst saß ich in den Bergen Mittelportugals auf einer Treppe und sonnte mich. Ich arbeitete zu jener Zeit dort auf einer Farm, das Tagwerk war verrichtet. Genüsslich und zufrieden rauchte ich eine meiner leckeren Selbstgedrehten, und während ich so dasaß - in nahezu gänzlicher Hingabe an die abendliche UV-Strahlung Südwesteuropas von außen und blauen Dunst von innen - fielen mir unweit meiner Füße zwei Insekten auf. Sie machten einen ausgesprochen geschäftigen Eindruck auf mich, weshalb ich beschloss, das Geschehen etwas genauer zu betrachten. Schließlich hatte ich in diesem Moment sowieso nichts anderes zu erledigen, als zu warten, dass die Ziegenherde den Hirten wieder heil nach Hause bringt. Diese spontane Entscheidung erwies sich als absolut richtig, könnte man doch sagen, dass ich alsbald einziger Zuschauer eines Ereignisses werden sollte, welches man heutzutage wohl als "Insect-Watching" betiteln würde.


Die beiden beflügelten Krabbeltierchen sahen der gemeinhin bekannten Honigbiene sehr ähnlich, die Körpergröße stimmte ziemlich genau, ebenso die Form, und beflügelt waren sie auch. Allerdings war der hintere und größere Körperteil im Gegensatz zu dem der bräunlich-gelb-gestreiften mutmaßlichen Artgenossinnen schwarz. Des weiteren liefen diese hier zwar etwas hektischer umher als Bienen, dennoch zeigten sie sich keineswegs weniger fleißig als die berühmten Verwandten. Das tatsächliche Faszinosum jedoch war nicht die Optik, sondern das Ziel ihres Tuns, welches sich mir bald im Laufe der folgenden Beobachtungen erschließen sollte: die beiden waren nämlich damit beschäftigt, einen toten Maulwurf unter die Erde zu bringen. Der Verblichene muss tragischerweise noch recht jung gewesen sein, er mochte an Wuchs gerade mal die Hälfte der Körpergröße eines ausgewachsenen Exemplars erreicht haben. Gebannt sah ich zu.


Es sollte sich recht bald herausstellen, dass das zu Anfang als hektisches Treiben erlebte Werken der Sechsbeiner bei nun aufmerksamer Betrachtung eine sehr wohl akribisch geordnete Arbeitsweise war. Das Loch, in welchem die Leiche schlussendlich verschwinden sollte, war einem Mäuseloch praktisch gleich. Des zu Begrabenden Hinterteil war bereits unter der Erde, als mir das Geschehen aufgefallen war. Die Insekten liefen bald zur einen, bald zur anderen Seite weg, ihr Arbeitsbereich erstreckte sich über ein Areal von schätzungsweise zwanzig mal zwanzig Zentimetern, dazwischen pflegten sie immer und immer wieder zurück zur entstehenden Gruft zu eilen, verschwanden gelegentlich in derselben, offensichtlich, um auch unterirdisch weiter zu buddeln. Zu erkennen war dies daran, dass immer, wenn eines der Tierchen sich in der Höhle zu schaffen machte, in regelmäßigen Abständen eine kleine Portion Sand von innen nach außen befördert wurde. Es mochte gut und gerne eine halbe oder dreiviertel Stunde vergangen sein, seit ich das Treiben beobachtete, und zwischenzeitlich war mir ein weiteres Phänomen am Schaffen dieser bienenähnlichen Bestattungsunternehmer aufgefallen: mehrfach erschienen in dieser Zeit weitere Kollegen, die augenscheinlich sich zu beteiligen gewillt waren, doch sofort von den beiden zuerst am Schauplatz da gewesenen vertrieben wurden. "Verpisst euch" schienen sie zu signalisieren, "das ist unser Revier!!". Dabei liefen sie - in bedrohlichen Bässen summend und brummend - auf die neu Angekommenen zu. Die derart deutlich abgewiesenen Eindringlinge flogen daraufhin verschreckt wieder davon.

Als ich mich schließlich von dem Geschehen losreißen konnte, war der kleine Maulwurf beinahe komplett unter der Erde verschwunden. Lediglich die Schnauze lugte noch aus dem Erdloch hervor, wie ein frisch ersprießender Keimling, der sich vorsichtig aus dem Erdreich gegen das Tageslicht wenden wollte.

Am nächsten Tag, während einer kurzen Arbeitspause, schaute ich noch einmal neugierig nach, fand die Stelle auch sofort wieder, doch konnte ich erst nach kurzem, intensiven Absuchen des Bodens den genauen Punkt finden, an dem der Maulwurf seine letzte Ruhestätte gefunden hatte. Was ich vorfand, sah tatsächlich nach einem winzigen, frischen Grabhügel aus. Die Erde war kaum sichtlich aufgehäuft und etwas lockerer als in der unmittelbaren Umgebung. Das insektische Bestattungsunternehmen hatte vorzügliche Arbeit geleistet. Ich blieb noch einen Moment lang stehen, wie von einer kleinen Ehrfurcht gehalten und sinnierte darüber, was denn nun unter der Erde passierte. Würde die Leiche gefleddert? Wurde sie in Teilen oder gar als Ganzes weiterverwertet? Vielleicht verspeist? Oder einfach nur der gewöhnlichen Verrottung überlassen?
Doch wird dies wohl das Geheimnis der mysteriösen Totengräberbienen bleiben.
 

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