Chuck Ragan

23.05.08 Auditorium JRS, Freiburg

 

"Und das isser jetzt, der Grund, warum wir hier sind?" fragte mich der weibliche Teil meiner beiden andächtigen Begleiter, als Chuck Ragan – ausgestattet mit Akustik-Gitarre und Mundharmonika, zu seiner Linken begleitet vom Geige spielenden John Gaunt – uns gerade die ersten Akkorde seines Sets zu Ohren kommen ließ. Zuvor gab es nämlich noch ein recht großzügiges Vorprogramm, beginnend mit Austin Lucas, dessen Set wir allerdings komplett verpasst hatten, da unser Konzertbesuchsteam zum Zeitpunkt dessen Aufspielens noch beim Griechen weilte, um sich möglicherweise ein letztes Mal mit von Angehörigen der Nation des heuer noch amtierenden Fußball-Europameisters zubereiteter, ausgiebig fleischlastiger Gerichte den Gaumen verwöhnen zu lassen. Zweiter im Reigen war Digger Barnes, ein Sänger, Gitarrist und Banjospieler, der, unterstützt von einer dia-ähnlichen Show, welche sein Mitstreiter vom Bühnenrand aus steuerte, sozusagen ein "Konzept-Konzert" spielte. Konkretisiert stelle man sich dies folgendermaßen vor:


Auf der Bühne sitzt in fast völliger Dunkelheit ein Mann mit seiner Gitarre am rechten, unteren Bildrand einer sich hinter ihm befindlichen Leinwand. Auf die Leinwand sind zunächst feststehende Bilder projiziert, zum Beispiel der Ausschnitt eines Wohnzimmers, bestückt mit diversen Möbelstücken, darunter ein Fernsehgerät. Außerdem hatte der Raum ein Fenster mit Blick auf eine Straße. Am linken Bühnenrand saß nun also Diggers kreativer Mitstreiter, der anhand verschiedener Gerätschaften -- unter anderem eine kleine Drehscheibe und diverse Lämpchen -- wiederum bewegte Gegenstände per Projektion durch die Stillleben gleiten ließ. So sah man beispielsweise durch das Fenster und im Fernseher Kraftfahrzeuge vorbeifahren. Dazu sang und erzählte Digger Barnes Geschichten über verschiedenste Menschen – häufig eigenwillige oder geheimnisvolle Charaktere –, auf welche er regelmäßig im von ihm fiktiv betriebenen Lokal, zu finden dementsprechend "in the middle of nowhere", trifft. Musikalisch würde ich das Gehörte als psychedelisch angehauchten Country-Folk mit unüberhörbaren Neil-Young-Einflüssen beschreiben. Erwähnenswert sei noch, dass der in Hamburg beheimatete Herr Barnes nebst seinen besaiteten Instrumenten nicht nur Mundharmonika spielte, sondern zudem mit dem rechten Fuß einen Bass-Cajon betätigte, sowie mit dem linken hin und wieder einen Schellenkranz mitspielen ließ. Dies alles ergab eine recht unterhaltsame halbe Stunde, die allein durch besagte Art der Darbietung Seltenheitswert besaß.


Danach betraten dann, wie bereits oben erwähnt, Chuck Ragan und John Gaunt die Bühne, um mit sehr erfrischendem Songwriter-Rock klassischer amerikanischer Country- und Folk-Prägung, vermengt mit einem guten Schuss der Attitüde des Punk, das Publikum zu begeistern. Von den ersten Takten an warf sich Mr. Ragan mit einer solchen Inbrunst in seine Songs, dass nicht nur das Hören, sondern auch das Beobachten des Sängers die reinste Freude war. Es schien, als stünde er während der Songs vollständig unter Strom, als sei es nur noch eine Frage der Zeit, bis ihn seine ureigenste Energie in ihrem schier unaufhaltsamen Drängen nach draußen zerbersten lassen mochte. Er war, soweit dies möglich ist, wenn man eine Gitarre um den Hals, eine Harp unterm Kinn und ein Mikro vor der Nase nahezu ununterbrochen zu bedienen hat, fast ständig in Bewegung. So trieb er uns seine – nebenbei erwähnt wie ich fand ausgezeichneten Lieder – mit einer tiefen, kratzigen, abgrundtief ehrlich klingenden und wunderbar ungeschliffenen Stimme in die Gehörknöchel, so dass es meinem Empfinden nach völlig unmöglich scheint, diesen Mann samt seiner Musik nicht auf Anhieb zu mögen. Selbstverständlich bekam auch der Geiger in regelmäßigen Abständen die Möglichkeit, sein Können im einen oder anderen Solo unter Beweis zu stellen, um dann und wann dem Sänger die Bühne wieder ganz alleine zu überlassen, welche dieser mit seiner sehr eindrücklichen Präsenz vollständig auszufüllen schien.

Er mischte noch die eine oder andere Coverversion sowie alte Songs seiner ehemaligen Bänd Hot Water Music in sein insgesamt recht abwechslungsreiches Programm, ehe er nach (geschätzt) etwa 70 Minuten zum großen Finale dann zusätzlich seine beiden Gäste Digger Barnes (mit Kontrabass) und Austin Lucas (mit Gitarre und etwas angeschlagener Stimme) um sich scharte, so dass mit einem Mal eine vierköpfige Kombo auf der Bühne stand. Diese spielte sich mit sichtbarem Spaß durch weitere an Höhepunkten reiche 30 bis 40 Minuten (ebenfalls geschätzt), bevor dann endgültig der imaginäre Vorhang fiel und das ohne Zweifel ausgezeichnete Konzert beendet war. Selbst der männliche Teil meiner beiden andächtigen Begleiter, dem nicht gerade der Ruf als bekennender Fän country- und folklastiger Songwriter voraus eilt, schien nun – nach anfänglicher Skepsis im Blick – ziemlich zufrieden mit dem Dargebotenen. So sahen auch die ungefähr einhundertfünfzig mit uns Anwesenden durchweg glücklich aus und kauften noch fleißig Tonträger und Tourplakate, um diese umgehend von den Protagonisten ebenso fleißig signieren zu lassen.


Ich selbst kam dafür beinahe zu spät, erwischte den ebenso sympathischen wie auf dem Teppich gebliebenen Star des Abends jedoch gerade noch auf der Treppe zum Bäckstägebereich, um ihn seinen Namen auf´s Cover meines frisch erstandenen, hübsch farbigen Vinyls aus dem Hause No Idea schreiben zu lassen. Ein sehr schönes Andenken an einen sehr außergewöhnlichen Konzertabend.

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