Der Mummelmann

 

Es war einmal ein kleiner Mummelmann. Der lebte mit seiner noch kleineren Mummelfrau irgendwo draußen am Stadtrand einer völlig belanglosen und langweiligen Stadt. Tagsüber beackerte er seine Mummelfelder mit seinen Mummelhänden, abends seine Frau, ebenfalls mit seinen Mummelhänden - und nicht nur damit - und zwar so lange bis sie schrie und quiekte vor Verzückung über des Mummelmanns Gefummel und so. Natürlich hatten sie auch Mummelkinder, drei Mummelmädchen und vier Mummeljungen. Aber die hatten sie beizeiten in den Ganztagsmummelkindergarten beziehungsweise weit weg ins Mummelinternat geschickt, auf dass sie es einmal besser haben sollten als die Mummeleltern, die sich Tag für Tag so schrecklich abrackern mussten.


Irgendwann aber hatte das heimelige Idyll ein Ende, denn der Mummelmann musste sich auf eine Reise begeben. Wohin, das wusste er selbst nicht, auch nicht warum, was es unheimlich erschwerte, dies seiner Mummelfrau und den vier kleinen Mummelkindern, die noch zu Hause lebten, zu verklickern. Doch er wusste, dass er musste. So half denn auch alles Lamentieren und Zetern seiner Mummelfamilie nichts, er ging. Er packte eines Abends, als alle außer ihm bereits schliefen seine Siebenunddreißigsachen und machte sich still und heimlich davon. - Was für ein feiger Mummelmann!! werden Sie nun rufen mögen. Still, sag ich, schließlich hatte er es allen gesagt, und sie hatten anstatt Verständnis zu zeigen nur Geschrei gemacht, also blieb ihm ja gar keine andere Wahl, als dieser unrühmliche Weg des sich aus-dem-Staube-machens. -  Nun machte er sich also des nächtens alleine auf den Weg. Wohin der ihn führen sollte, wusste er ja nicht, und so weit der Weg es zuließ, lief er daher schlicht geradeaus, entgegen der Richtung der Stadt, an deren belanglosem Rand er bisher gelebt hatte. Ob er je wieder zurückkehren würde, wusste er nicht, was ihn ein wenig bedrückte, denn schließlich hatte er seine Familie sehr lieb und wünschte sich sehnlichst, sie eines schönen Tages wieder zu sehen. Und um richtig ehrlich zu sein, war es ihm sogar scheißegal, ob dies an einem schönen oder hässlichen Tag geschehen sollte, so lieb hatte er seine Mummelfamilie.


Als er bereits ein beträchtliches Stück gelaufen war und ihm die Füße ein klein wenig schmerzten und die nächtlichen Lichter der Stadt sich schon in der Ferne verloren hatten, beschloss er, etwas zu ruhen, bis der Morgen graute. Er bog in scharf rechtem Winkel vom Weg ab um ein paar Schritte in den Wald hinein zu laufen, der sich diesseits des Wegs ausbreitete. Nach ein paar Schritten, gerade mal so viele, dass er den Weg im Auge behalten konnte, vom Weg aus jedoch selbst nicht gesehen werden konnte, legte der Mummelmann sein Päckchen mit den Siebenunddreißigsachen neben sich auf den Boden, kniete nieder und beugte den Oberkörper so weit nach vorne, bis er mit seiner flachen Mummelmannstirn den Erdboden erreicht hatte und stützte seinen Körper mit dem Kopf ab, die Hände hinter dem Rücken verschränkt, ganz und gar in gewohnter Mummelmannmanier. Er atmete in tiefen Zügen den frischen, erdigen Geruch des moosbewachsenen und laubbedeckten Waldbodens ein. In dieser für Mummelmenschen äußerst bequemen Stellung schlief er, nachdem er zur Entspannung bis zweitausendsechshundert - hhhhhhh - vierunddreißigeinhalb gezählt hatte, ein. Und er hatte einen Traum.

In seinem Traum musste der Mummelmann seine Mummelfamilie verlassen, packte des nächtens....bla bla bla et cetera pp… und schlief im Wald ein. Als er erwachte, hatte er einen alten Fahrradschlauch fest um den Hals, was ihn ein wenig bedrückte. Er wollte aufstehen, stieß sich jedoch den Kopf, kaum dass er versucht hatte, sich aufzurichten, an einem direkt über ihm gewachsenen starken Ast an, so dass er taumelte und torkelte, als hätte er sieben Fässer Wein alleine geleert und landete schließlich rücklings auf seinen vier Buchstaben. „Hahahahahahaha!!“ schallte es ihm da plötzlich entgegen. Er sah auf und registrierte genau vor sich einen ziemlich überdimensionierten Borkenkäfer, der in einer seiner vier widerwärtigen Klauen das Ende eines dicken Seils hielt. Das andere Ende, das dürfte jetzt eigentlich klar gewesen sein, war an dem alten Fahrradschlauch festgemacht, den der dumme, äh, der arme Mummelmann unfreiwillig um den Hals trug und er nunmehr begriff, wie das Ding dahin gekommen war.

Zur Präzisierung dieser Ausführungen tut es unweigerlich Not, darauf hin zu weisen, dass sein Gegenüber nicht ein gewöhnlicher, überdimensionierter Borkenkäfer, sondern sogar DER überdimensionierte Big Borkenkäferkönig war. „Na, Mummelmann, wohl geruht? hahahahahaha" lachte der garstige Borkenkäferkönig ihm entgegen. Das war eindeutig zuviel des Schreckens innerhalb so kurzer Zeit nach seinem Auszug von zu Hause und der Mummelmann musste sich übergeben. Er kotzte und kotzte, bis ein unförmiges, kleines, glibberiges, im Grundfarbton schwarzes, darüber jedoch grün-gelb-gestreiftes Ding vor ihm auf dem Waldboden inmitten des ganzen ehemaligen Mageninhalts lag: seine Seele!! Er hatte sich tatsächlich seine Seele aus dem Leib gekotzt!! Dies war nun sogar dem überdimensionierten Borkenkäferkönig echt too much, ey!! Er biss kurzerhand den alten Fahrradschlauch durch und verpisste sich so schnell er nur konnte. Als er schließlich mit dem Wasser lassen geendet hatte, nahm er seine Beine in die Klauen und rannte von dannen.

Schweißgebadet erwachte der Mummelmann mit dem morgendlichen Gequietsche der Waldvögel, welches klang, als machten diese sich über ihn lustig, aus seinem durch den seltsam geträumten Traum gar nicht so erholsamen Schlaf. Er brauchte einige Minuten, bis er richtig bei sich war. Was für ein schrecklicher Traum, dachte er, während er in den Rucksack griff, um nach seinem Frühtütchen zu suchen. Doch da er ein sehr ordnungsliebender kleiner Mummelmann war, musste er gar nicht all zu lange suchen und herum kramen, sondern fand es alsbald und zog es sich genüsslich, wenn auch nicht minder nervös, rein. An den frei gewordenen Platz im Rucksack, wo sich zuvor das Frühtütchen befunden hatte, tat er stattdessen das komische grüngelbe Ding, welches er neben seinen Füßen auf dem Boden gefunden hatte. Kaum, dass er fertig geraucht hatte, und guter Dinge - obwohl schon wieder etwas träge - war, lief er weiter.

Nachdem er einige Stunden annähernd strammen Schrittes gewandert war, bemerkte er, dass es ihm sehr heiß war und er stark transpirierte. Das war kein Wunder, stach doch die Sonne bereits seit seinem Erwachen ohne Erbarmen vom Himmel, und der Mummelmann ärgerte sich augenblicklich ein wenig, dass er seine Baseballmütze mit dem zugegeben recht bescheuerten Aufdruck New York Yankees zu Hause hatte liegen lassen. Die hätte er jetzt echt gut gebrauchen können. Außerdem stellte er fest, dass er als zusätzliches Ärgernis auch noch seine Sonnencreme - Lichtschutzfaktor 96 - vergessen hatte. Das ärgerte ihn sogar noch mehr, denn Mummelmenschen haben eine sehr empfindsame Haut. Scheiße, dachte er. Aber schließlich sind Mummelmänner für ihr erfinderisches Geschick sehr bekannt. So suchte er Schutz im Schatten eines Strauches mit dicken roten Pillen dran und kramte von neuem in seinem Gepäck. Als erstes fand er eine Flasche Wein, die er umgehend austrank. Dann griff er in das Fach, wo er die Tütchen verstaut hatte, zog eines heraus und stellte fest, dass daran das mittlerweile leicht angetrocknete Glibberding, welches er morgens gefunden hatte, klebte.

„Oh, toll" rief er aus. „Was auch immer das ist, daraus mache ich mir eine Mütze!!" So knetete, schüttelte und stauchte er kurzerhand das Ding, stampfte es zum Schluss platt, zog es in die Form einer fast richtigen Mütze und setzte es sich auf den von der Sonne schon leicht angebrannten Mummelmannmörser. „Aaahh, das ist gut!" dachte er. „Hält die gefährliche UV-Strahlung ab und kühlt sogar!!"
Gemütlich zischte er noch den Joint und warf ein paar von den roten Pillen des Sonnenschutzstrauches ein, bevor er sich wieder, zwar recht angedüdelt, aber bestens gerüstet, auf den Weg machte. „Heissa, Hossa, jubeldubeldei" sang er überschwänglich, „heissa, hossa, endlich bin ich frei."

Plötzlich, es dürfte so zu Beginn der Abenddämmerung gewesen sein, glaubte er, eine Stimme flüstern zu hören: „He, Mummelmann... hallo....". Er blieb stehen und sah sich verdutzt um, konnte aber weit und breit wie er war, niemanden erkennen. „He, Mummelmann.." zischelte es von neuem. Er stellte fest, dass die Stimme von oben zu kommen schien. Er schaute nach oben, nach links, nach rechts und sah: nichts!! Dann zwickte ihn etwas unter seiner improvisierten Mütze, auf die er übrigens sehr stolz war, obwohl sie ein wenig muffelte, in die nackte Kopfhaut. Er riss die Mütze herunter um nachzusehen, ob sich darin etwas Spitzes befand, und musste mit Erschrecken feststellen, dass sie die Form eines Nudelgerichtes angenommen hatte, mit zu kurz gekochten und dadurch nicht weichen und deshalb spitzen Rosmarinzweigen drin, die offenbar die Auslöser des unangenehmen Gezwicktwerdens waren. „Kreuzdonnerwetter, was ist das denn nun?" schrie er das Nudelgericht an. „Deine Seele!!" brüllte das Nudelgericht postwendend zurück. „Was?" fragte er ungläubig, „meine Seele?" „Ja," antwortete die wunderliche Pasta, „deine verdammte Seele!!"
Und was machst du jetzt hier draußen, noch dazu als Nudelgericht verkleidet?“ brüllte er, langsam aber sicher die Fassung verlierend seine verlorene Seele an. „Müsstest du nicht als ewiges Mysterium irgendwo in meiner leiblichen Hülle wohnen, und nach meinem Ableben abheben, in den Himmel zu fahren oder auf die Malediven?"
So, müsste ich das deiner Meinung nach, was?" entgegnete die Seele barsch. „Da hatte ich aber keine Lust mehr drauf. Malediven oder Himmel, okay, das wäre ja schick und schön, aber in dir drin hab ich es nicht länger ausgehalten. Es ist so unglamourös, das kannst du dir nicht vorstellen. Jedes Jahr, jeden Tag, jeden Augenblick deines - und damit untrennbar auch meines Lebens - kam ich mir mehr und mehr verkommen und verwahrlost vor, bis ich es nicht mehr ausgehalten habe und deinen nächtlichen Brechreiz dazu genutzt habe, abzuhauen. Blöderweise kann ich mich hier draußen nicht bewegen, so lange du dich noch bewegst. Sonst wäre ich längst über alle Berge, das kann ich dir sagen!!

Nachdenklich saß der Mummelmann noch ein Weilchen da, dann packte er Campingkocher und -geschirr aus dem Rucksack, kochte die Nudeln ab und verspeiste sie mit einem leckeren grünen Bio-Pesto, dem einzig Essbaren, das er in der nächtlichen Hektik noch ins Gepäck gestopft hatte. Nachdem er erstens satt war und zweitens seine Seele wieder da verstaut hatte, wo sie seiner Meinung nach so ungefähr hingehörte, befand er, dass er fürs Erste genug Abenteuer erlebt hatte und es nun an der Zeit sei, wieder nach Hause zu gehen. Nach einem kleinen Verdauungsschlaf zur Behebung der Fressnarkose pfiff er sich seine restlichen Drogen ein und lief zum nächsten Bahnhof, kaufte sich dort ein Ticket für die erste Klasse und fuhr wieder heim zu seiner Mummelfrau und seinen Mummelkindern, die ihn schon sehnsüchtig erwarteten.

 

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