THE NOTWIST

17.07.08 Freiburg, Jazzhaus

 

 Ich erinnere mich an Zeiten, da bezichtigten sich Menschen nicht nur gegenseitig irgendwelcher völlig normaler Verhaltensweisen, sondern setzten dem auch noch eine Krone auf, indem sie einander mit solch halblustigen Wortschöpfungen wie zum Beispiel „Warmduscher“ oder „Schattenparker“ betitelten. Da ich selbst nun ganz spielverderberisch die tägliche Körperpflege seit einigen Jahren recht kreislauferquickend kalt-warm-kalt durchführe und daneben noch nicht einmal in Besitz eines Fahrzeugs bin, welches sich im Sommer in einen mobilen Backofen zu verwandeln in der Lage ist, kann ich dem als Angriffsfläche leider nur wenig beitragen. Aber wie wäre es mit „Vier-Wochen-vor-dem-Konzert-Kartenbesitzer“? Denn als solcher musste ich nicht drei Tage vor dem Konzert leicht bedröppelt und kartenlos aus dem Plattenladen schleichen, im Ohr die Information „seit ner Woche ausverkauft“ nachhallend. Auch musste ich mich nicht in die lange Schlange für eventuell nicht abgeholte, reservierte Karten einreihen oder mein Glück auf den Ausfall anderer Leute setzen und draußen auf der Straße die Menschen nach übrigen Karten fragen. Diese nervenaufreibenden und nur mit vagen Erfolgsaussichten bepackten Spielchen gingen schön an mir vorüber, als ich etwa zehn Minuten vor Beginn eines dieser raren wie begehrten Ereignisse eines Notwist-Live-Gastspiels in aller Gemütlichkeit das sommerlich warme Jazzhaus betrat.


Im Kellergewölbe angekommen, suchte ich mir umgehend ein entspanntes Plätzchen im hinteren Drittel, mit zwar leider eingeschränktem Blick auf die Bühne, dafür jedoch zu Gunsten des vollen Genusses der akustischen Sichtweise. Das Licht ging aus, eine handvoll verhuscht aussehender Männer erklomm die Bühne, es erfolgte eine knappe Ansage und das Konzert begann mit einem ruhigen Stück, das ich schändlicherweise nicht kannte. Es wirkte, als müssten sich die Musiker zunächst an die Lokalität gewöhnen, ein bisschen warm werden, sich lockern, bevor es als zweiten Song das wunderschöne „Pick Up The Phone“ zu hören gab, bei dem man, hört man es alleine zu Hause, am liebsten gleich zum Telefon greifen und eine ehemals Angebetete anrufen möchte.


Das akustische Spektakel, meine Damen und Herren, hatte begonnen.
In loser Reihenfolge spielten die sympathischen Weilheimer in stoischer Ekstase ihr Set, welches fast das komplette aktuelle Album umfasste, schön gespickt mit Songs vom Vorgänger „Neon Golden“, dazu das herrlich schöne „Chemicals“ und „Day Seven“ von „Shrink“. Während die neuen Lieder den Versionen der Platte ziemlich glichen, waren es besonders die zu teilweise epischen Stücken ausgebauten Songs von Neon Golden, die für überraschende Momente und auch das Gros der Höhepunkte sorgten. In erster Linie denke ich dabei an das Titelstück sowie „Pilot“, welche fast schon ausschweifend zelebriert wurden. Sehr beeindruckend empfand ich auch die sehr seltenen Momente, in denen ganz kurz richtig gerockt wurde, als wollte die Band sagen: „Hey, passt bloß auf! Wir können auch anders!“
Wollten sie aber nicht. Und das ging völlig in Ordnung, denn, so sehr ich auch die alten, gitarrenlastigen Songs schätze, hätten diese im Gesamteindruck wohl doch eher fehl am Platze gewirkt; nur auf diese Weise, die ersten drei Alben komplett auszuklammern, konnten sie die einzigartige Atmosphäre aufrecht erhalten, mit der sie mich von Beginn an in ihren Bann gezogen hatten und mich im Verlauf des Abends immer und immer tiefer darin versinken ließen.


Was für ein wunderbares Konzert! Was für wundervolle Songs! Welch phantastischer Sound! Jedes noch so kleine Knirschen, jedes winzige Zirpen, welches der Elektroniker Gretschmann seinen Spielzeugen entlockte, war klar und deutlich zu hören. Da musste man gar nicht hinschauen, da machte man die Augen zu und ließ sich einfach treiben. Und hab ich mir das nun eingebildet, oder sangen tatsächlich zig weibliche Kehlen sanft den melancholisch-süßlichen Background beim Refrain von „One With The Freaks“? Was für ein magischer Moment!
Hatte ich vorhin eigentlich von einzelnen Höhepunkten gefaselt? Verzeihung! Ich muss mich verbessern: die komplette Darbietung war ein einziger, komprimierter Höhepunkt! Gebt mir Superlative, ich hau sie alle hier rein!! Da gabs die ganzen knapp zwei Stunden nix, aber überhaupt nix zu mäkeln.
Obwohl sich übrigens auch Herr Acher, der in gesangsfreien Passagen meist seitwärts oder mit dem Rücken zum Publikum seine Gitarre bearbeitete und dabei in beinahe autistisch anmutenden Bewegungen im Schummerlicht tänzelte, einmal verbessern musste, als er einen verpatzten Songanfang mit einem lapidaren „´tschuldigung, wir müssen das noch mal von vorn machen“ kommentierte. Ansonsten wurde nicht viel geredet, von höflichen „Danke schöns“ und „1000 Dank“ mal abgesehen. Wobei lange Reden den Fluss dieser nicht weniger als grandiosen Aufführung sowieso nur gestört hätten.


Ebenso stimmig wie die akustische Darbietung war auch die wohl bewusst spärlich gehaltene visuelle Umsetzung, die lediglich aus abgedunkeltem, leicht nebligem Bühnenlicht bestand, mit gelegentlichen Farbtupfern aufgepeppt oder während schnellerer Beats eingestreutem Stroboskop-Licht. Alles in allem sehr, sehr stimmungsgeladen und atmosphärisch.
So dauerte es eine schöne Weile, bis ich nach diesem höchst eindrucksvollen Konzerterlebnis wieder in der Lage war, einen klaren Gedanken zu fassen und den Ort des Geschehens entsprechend verspult und mit vermutlich verzücktem Grinsen im Gesicht verlassen konnte.

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